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Der Schock – Herzkrank trotz gut eingestelltem Diabetes

Ein Patientenfall von Prof. Dr. med. Stephan Martin, Chefdiabetologe im Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf, Leiter des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums. Dieser Artikel erschien ursprünglich im stern (Ausgabe vom 16.01.2025). Lesen Sie […]

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Ein Patientenfall von Prof. Dr. med. Stephan Martin, Chefdiabetologe im Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf, Leiter des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums.

Dieser Artikel erschien ursprünglich im stern (Ausgabe vom 16.01.2025). Lesen Sie den Online-Artikel hier.

Der Schock

Eine Frau hat Diabetes, doch sie fühlt sich fit. Dann entdeckt ein Experte, dass ihr Herz stark angegriffen ist.

Die Dame lernte ich bei einer Veranstaltung kennen, sie gehörte zur örtlichen Prominenz. Die 70-Jährige schwärmte davon, wie fit und gesund sie sich fühle. Sie habe zwar einen leichten Diabetes Typ 2, aber mit etwas Insulin und Metformin, einem Medikament, das die meisten Menschen bekommen, wenn sie Diabetiker werden, gehe es ihr richtig gut. Gegen ihren leicht erhöhten Blutdruck nehme sie noch ASS und einen Blutdrucksenker. Ihr Gewicht habe sie nach der Diabetesdiagnose vor einigen Jahren von 105 auf 90 Kilo reduziert. Am Ende unseres Gesprächs sagte sie, dass sie sich demnächst mal von mir durchchecken lassen würde.

Ein paar Wochen später stand sie in der Ambulanz. Zuerst schickten wir ihr Blut ins Labor. Ihr Langzeitblutzuckerwert lag bei 9, bei Gesunden liegt er unter 6. Er war also viel höher, als man bei einer gut eingestellten Diabetikerin erwartete. Auch die Nierenwerte waren katastrophal: Die Frau hatte eine ausgeprägte Nierenfunktionsstörung, die Niere arbeitete nur noch mit einem Viertel der normalen Leistung. Das Medikament Metformin hätte längst abgesetzt oder zumindest die Dosis reduziert werden müssen, denn bei schlechter Nierenfunktion reichert es sich im Körper an. Erhöhte Nierenwerte sind bei Menschen mit Diabetes ein zuverlässiger Indikator dafür, dass auch das Herz angegriffen ist. Der hohe Blutzuckerspiegel bei Diabetes schädigt die Blutgefäße im ganzen Körper, da der Zucker deren
innere Schicht angreift. Die Gefäßwand raut sich auf, es kommt zu Entzündungen und Ablagerungen. Folge sind Schäden an Nieren, Augen und Herz.

Die Patientin wunderte sich über meine Befunde, war sie doch in regelmäßiger ärztlicher Betreuung. Etwas provokativ fragte sie, ob sie jetzt zur Dialyse, also zur Blutwäsche, müsse. Ich sagte, dass die meisten Menschen in ihrem Zustand die Dialyse nicht erlebten, da sie zuvor an einem Herzinfarkt verstürben. Sie erschrak und bat mich, ihr zu helfen. Ich veranlasste ein EKG. Hier würden wir schnell mögliche Veränderungen erkennen. Der chronisch hohe Blutzucker bei Menschen mit Diabetes beschleunigt die Verkalkung und Schädigung der Herzkranzgefäße. Die Blutgerinnung in den angegriffenen Arterien nimmt zu. Außerdem pumpt das Herz nicht mehr so gut. Zuckerkranke haben daher ein stark erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das EKG zeigte: Die Patientin hatte eine ausgeprägte Herzschwäche, sodass wir sie an die Kardiologie überwiesen. Notfallmäßig bekam sie dort einen Herzschrittmacher, sonst hätte die Gefahr eines plötzlichen Herztods bestanden. Das alles wäre nicht nötig gewesen. Seit einigen Jahren gibt es wirksame Diabetesmedikamente, die den Blutzucker senken und gleichzeitig die Nieren schützen. Setzten alle Ärztinnen und Ärzte sie bei ihren Patienten richtig ein, müssten viel weniger Blutwäschen durchgeführt werden – immerhin verursacht Diabetes fast die Hälfte aller Dialysefälle.

Ich verschrieb der Frau eine Kombination dieser neuen, nierenschützenden Antidiabetika. Ich riet ihr, weiter abzunehmen. Der Schock über die lebensbedrohlichen Diagnosen saß tief: Sie gewöhnte sich schnell an eine Ernährung, bei der sie auf Zucker und leicht verdauliche Kohlenhydrate wie Kartoffeln, Nudeln und Brot verzichtete. Bald brauchte sie kein Insulin mehr. Ihr Langzeitblutzuckerwert verbesserte sich kontinuierlich, zuletzt lag er bei knapp 7. Auch die Nieren arbeiteten besser. Wenn die Patientin die Medikamente weiter regelmäßig einnimmt, hat sie gute Chancen, nicht an die Dialyse zu müssen. Wäre die Frau damals nach dem Kennenlernen nicht bald zu mir gekommen, wäre sie wahrscheinlich an einem Herzinfarkt gestorben. Der Fall zeigt, dass Menschen mit Diabetes nicht nur ihren Langzeitblutzuckerwert kennen sollten, sondern auch ihre Nierenwerte.